„Gut“ und „schlecht“ – mit solch moralischen Kategorien wird Widerstand oft bewertet. Entsprechend verhärtet sind bei Veränderungsvorhaben oft die Fronten – nicht nur in Unternehmen. Das erschwert die Konfliktlösung und das Managen des Projekts. Ein Fachartikel von Dr. Georg Kraus.
Dr. Georg Kraus ist geschäftsführender Gesellschafter der international agierenden Unternehmensberatung Dr. Kraus & Partner, für die über 100 Berater, Trainer und Projektmanager arbeiten.
Widerstand hat stets zwei Gesichter. Abhängig von der Perspektive ist er entweder „gut“ oder „schlecht“. Manager begegnen dem Phänomen Widerstand fast täglich. Da beschließt die Unternehmensspitze zum Beispiel eine neue Strategie und sofort stellen sich – mehr oder minder offen – die entsprechenden Gegenreaktionen der Mitarbeiter ein. Also werden Pläne geschmiedet, wie die Belegschaft als Mitstreiter gewonnen werden kann. Doch leider wird hierbei oft nicht geklärt, woran sich der Widerstand genau entzündet. Dabei wäre dies nötig. Denn wer nicht versteht, weshalb Menschen opponieren, kann diese zwar ruhig stellen, aber nicht gewinnen.
„Gut“ versus „schlecht“
Widerstand hat stets einen Auslöser – nämlich eine fehlende oder (geplante oder) bereits vollzogene Veränderung. Widerstand kann sich also regen, weil sich nichts ändert, und weil sich etwas ändert. In beiden Fällen ist er jedoch ein Auflehnen gegen die „Herrschenden“. Zudem ist das gedankliche Grundmuster des Widerstands dasselbe: Wir sind die „Guten“, die das Bestehende bewahren oder verändern. Und die anderen? Sie sind die „Schlechten“ oder „Bösen“, die zum Beispiel nur an die Aktionärsinteressen oder eigenen Interessen denken. Oder nicht sehen, was möglich oder nötig ist.
Diese Geisteshaltung ist das Fundament für die aus dem Widerstand geborenen Konflikte. Denn wer ideologisch felsenfest davon überzeugt ist, der „Gute“ zu sein, dem fällt es leicht, im Namen des „Guten“ entweder selbst unmoralische Dinge zu tun oder der anderen Seite ein entsprechendes Verhalten zu unterstellen. Deshalb werden in der Auseinandersetzung um Veränderungsprojekte so oft solch moralisierende Begriffe wie ungerecht, unfair und unsachlich verwendet. Sie sind Anzeichen dafür, dass in einer Organisation ein (Interessen-)Konflikt tobt.
Die vier Phasen des Widerstands
In Veränderungsprozessen kann man vier Phasen unterscheiden, die mit ebenso vielen Grundhaltungen korrespondieren.
- Phase: Leugnung.
Verdrängung ist ein beliebtes Mittel, sich nicht mit einer (geplanten) Veränderung auseinandersetzen zu müssen. Das heißt: Die Menschen wollen die Veränderung nicht wahrhaben. Sie tun so, als gäbe es diese nicht. Eine neue Arbeitsweise wird beispielsweise eingeführt, doch niemand arbeitet danach – nicht aus aktivem Protest, sondern aufgrund eines unbewussten Nicht-Ernstnehmens der Veränderung. - Phase: Aggression.
In dieser Phase treten die Konflikte zutage. Die Emotionen kochen hoch. Sachargumente werden nicht gehört. Es regieren Enttäuschung und Wut. Ein Sündenbock muss her, an dem man seine Aggression auslassen kann. In dieser Phase sind konstruktive Dialoge selten möglich. - Phase: Resignation.
Die Wut ist verpufft, das Trauern beginnt. Das heißt, die Betroffenen lassen sich allmählich auf die Veränderung ein. Nun gilt es zum Beispiel als Führungskraft, Verständnis zu zeigen. Denn ohne ein Trauern, also Abschiednehmen, gibt es keinen Neuanfang. - Phase: Akzeptanz und Start.
Nun erst ist eine konstruktive Auseinandersetzung mit den Fakten möglich. Leider versuchen die Verantwortlichen bei Changeprojekten oft schon in der Phase der Wut oder Trauer die Betroffenen mit Sachargumenten zu überzeugen und verstehen nicht, warum sie kein Gehör finden.
Nicht jeder Widerstand mündet in einen heißen Konflikt. Schlimmer sind die kalten Konflikte – also passiven Formen des Widerstands. „Dienst nach Vorschrift“ ist zum Beispiel eine Form des Widerstands, bei dem man den Mitarbeitern zwar wenig vorwerfen kann, sie aber kein Engagement zeigen. Das Problem dieser Art von Widerstand ist: Er wird häufig nicht erkannt. Denn nach außen ist alles okay. Die Verantwortlichen wundern sich sogar, wie wenig Widerspruch die Veränderung auslöst. Also wiegen sie sich in falscher Sicherheit.
Betroffen oder nur beteiligt?
Unter Changemanagement-Experten kursiert das Bonbon: „Changemanagement ist wie das Projekt ‚Herstellen von Rührei mit Speck‘. Hierfür benötigt man ein Huhn und ein Schwein. Das Huhn ist am Projekt beteiligt, das Schwein ist betroffen.“ Viele Veränderungen werden von „Hühnern“ getrieben – also Menschen, die in dem Projekt nicht wirklich etwas verlieren. Mit den „Schweinen“, also den echten Verlierern, wird die Auseinandersetzung über die Verluste jedoch kaum geführt. Sie werden weder klar benannt, noch kommen sie auf den Tisch. Also werden die (Interessen-)Konflikte auch nicht gelöst.
Bei den Betroffenen gilt es drei Kategorien zu unterscheiden.
- Echte Verlierer: Menschen, die große Nachteile haben werden, und nicht wissen, wie sie damit umgehen sollen.
- Privileg-Verlierer: Die meist viel größere Gruppe. Hierbei handelt es sich um Personen, die gewisse Privilegien haben, und Gefahr laufen, diese zu verlieren. Diese Gruppe argumentiert selten mit den wahren Gründen, warum sie gegen die Veränderung ist. Stattdessen eröffnet sie Nebenkriegsschauplätze.
- Schein-Verlierer: Bei ihnen überwiegen die aus Unsicherheit resultierenden Ängste vor der Veränderung. Ihr Widerstand resultiert eher aus der Gefahr, die aktuelle Komfort-Zone verlassen zu müssen. Das Bestehende kennt man, das Neue nicht. Schein-Verlierer übertreiben gerne die Risiken, um den Status-Quo nicht verlassen zu müssen.
Egal, wie man es dreht, aus einer Denkfalle müssen Change-Verantwortliche entkommen: der Falle, den Widerstand rein als Problem zu sehen. Denn Widerstand ist eine Voraussetzung für Veränderung. Statt ihn zu bekämpfen, sollten sie ihn umarmen.