Wir erleben tagtäglich, dass gute Vorsätze verpuffen, die Zustimmung im Team sich als oberflächlich erweist – und dass „irgendetwas“ dafür sorgt, dass nicht das passiert, was eigentlich passieren sollte. „Kulturentwicklung braucht Zeit. Die Strategie können wir recht schnell ändern, aber die Veränderung unserer Kultur braucht Jahre.“ Eine weit verbreitete Annahme – und ebenso gefährlich, denn sie verleitet zum Zögern. Dabei gibt es keinen Grund, mit Culture-Hacks zu warten.
Gute Hacks sind sichtbar – man spricht darüber.
Sie kosten wenig, nicht einmal besonders viel Zeit. Man braucht dafür keine HR-Abteilung und kein umfangreiches Projektmanagement. Was man braucht, ist Mut. Denn gute Hacks irritieren bestehende Gewohnheiten. Hier eine Auswahl an erfolgreichen Hacks, die Dr. Simon Sagmeister und Frank Hermle (beide sind Geschäftsführer von „The Culture Institute” in St. Gallen (Schweiz) in den letzten Jahren begegnet sind:
Culture-Hacks #1: Just DU it
Du-Kultur oder nicht? Es gibt Beispiele, in denen die Sie-Kultur ganz einfach von unten gehackt wurde – wie in einem bekannten deutschen Industrie-Unternehmen: Dort hatte ein Mitarbeiter damit begonnen, Hashtags à la „Just DU it“ oder „Gerne per Du“ in seiner Email-Signatur und im Intranet-Profilfoto anzubringen. Was zu Beginn irritierte, fand schnell Nachahmer – oder besser: weitere Hacker! Immer mehr schlossen sich der Du-Bewegung an. Immer größer wurde der Druck auf die Sie-Bewahrer, mitzuziehen. Irgendwann waren die Siezer in der Minderheit, kurze Zeit später ganz verschwunden.
Culture-Hacks #2: Geh-Spräche
Ein Manager hinterlegte bei den Outlook-Meeting-Einladungen neben den Sitzungszimmern auch Spaziergang-Routen. Mit einem Klick konnte man anstatt der üblichen Sitzung auch ein Geh-Spräch buchen. Das Angebot wurde begeistert angenommen. Der Hack veränderte nicht nur die Sitzungskultur, sondern vor allem die Qualität der Gesprächsergebnisse.
Culture-Hacks #3: Vier gewinnt
Apropos Sitzungskultur. Eine Abteilungsleiterin beschloss, der ausufernden Sitzungskultur in ihrer Organisation Einhalt zu gebieten. Sie erlaubte nur noch maximal vier Personen im Sitzungszimmer. Ein Schild am Sitzungsraum signalisierte, wenn dieser voll besetzt war. Wollte eine fünfte Person hinein, musste zuerst jemand den Raum verlassen.
Culture-Hacks #4: Unglaubliche Kennzahlen
Ein Manager hackte sein Umfeld damit, dass er jeden Montag eine andere unglaubliche Kennzahl für alle sichtbar im Eingangsbereich und in den Liften anbrachte. Dazu gab es vier mögliche Erklärungen, worum es sich bei der Zahl handelt. Am Freitag folgte jeweils die Auflösung. Zwischen diesen Tagen diskutierte man in der Organisation neugierig die unglaubliche Kennzahl und was es wohl sein könnte – mal war es die Anzahl der Anfragen im Call-Center, die Zahl an neuen Lehrlingen, der NPS-Score oder auch die Zahl an Nicht-Kunden, die trotz Interesse am Unternehmen nicht kaufen.
Culture-Hacks #5: The Offer
Mit „The Offer“ ging Tony Hsieh, Internet-Pionier und Gründer des Online-Schuhhändlers Zappos, in die Culture Hacking-Geschichte ein. Nach dem Einstiegstraining und einigen Wochen im Unternehmen bot er den Neuankömmlingen eine Prämie in Höhe von 2.000 Dollar an – wenn sie sofort kündigten. Tony Hsieh erklärte das Motiv dahinter so: „Wir möchten, dass bei Zappos nur Leute sind, die hier sein wollen und an unsere Kultur glauben. Wenn sie merken, dass sie nicht hierher passen, dann sollen sie auch nicht hier festsitzen – daher lassen wir ihnen die Wahl.” Nur sehr wenige Mitarbeiter nahmen das Angebot an. Der Großteil wählte die langfristige Zugehörigkeit und entschied sich bewusst dafür, Teil der Zappos-Kultur zu sein und zu bleiben. Der Hack selbst war natürlich höchst emotional und sichtbar – es wurde über die Unternehmensgrenzen hinaus darüber berichtet. Er wirkte zudem unmittelbar. Und in den Augen von Tony Hsieh war es allemal günstiger, die 2.000 Dollar zu bezahlen, als Mitarbeiter an Bord zu haben, die nicht voll mitziehen.
Fazit: Jede und jeder einzelne kann Kultur-Beweger sein
Anstatt sich damit abzufinden, dass die Kultur die Strategie zum Frühstück verschlingt oder darauf zu warten, dass jemand anders (z.B. die HR-Abteilung) die Kultur der Organisation endlich ändert, sollten insbesondere Führungskräfte den Spieß einfach umdrehen: Noch vor dem Frühstück kann man Impulse setzen, die gewohnte Muster brechen und neue Spuren entstehen lassen. Culture Hacks wirken. Der Aufwand ist gering – die Wirkung kann umso größer sein. Also: Disrupt your culture 2022!