Purpose: Auf der Suche nach dem Sinn in der Arbeit

Purpose

Jede Führungskraft wünscht sich Mitarbeiter, die hochmotiviert arbeiten, unter anderem, weil sie in einen Sinn in der Arbeit sehen. Doch wie lässt sich dieses Ziel erreichen? Je klarer die Kommunikation ist, umso besser können potenzielle Mitarbeiter für sich entscheiden, inwiefern sie persönlich in dem Unternehmen vermutlich einen Sinn in ihrer Arbeit finden, schreibt Führungskräfte-Coach Joachim Simon. Für ihre Arbeitsmotivation ist das extrem wichtig, denn: Nur wer seinen Sinn gefunden hat, übernimmt Verantwortung, so der Experte.

Führungskräfte können Mitarbeiter anweisen, was und wie sie etwas zu tun haben. Doch welchen Sinn Mitarbeiter darin zu sehen haben, das können sie ihnen nicht vorgeben. Den Sinn – oder neudeutsch „Purpose“ – müssen Menschen in ihrer Arbeit selbst finden. Sie müssen für sich erkennen: „Das ist mein Ding und ergibt für mich Sinn.“ Für ihre Arbeitsmotivation ist das extrem wichtig, denn: Nur wer seinen Sinn gefunden hat, übernimmt Verantwortung.

3 Purpose-Dimensionen

Früh formulierte diesen Zusammenhang der Unternehmensberater und Bestseller-Autor Simon Sinek („Frag immer erst: warum“). Ihm zufolge müssen Unternehmen ihren Kunden und Mitarbeitern einen übergeordneten Sinn aufzeigen, wenn sie langfristig Erfolg haben wollen. Der Ökonomiepsychologe Aaron Hurst griff Sineks Gedanken in seinem Buch „The Purpose Economy“ auf und bezog sie auf den individuellen Purpose von Menschen – beruflich wie privat. Seine Kernthese lautet: Nur wenn ein Mensch wertschätzt, für wen und warum er arbeitet, und sich zudem damit identifiziert, wie er es tut, entsteht bei ihm ein Gefühl von Sinn und Zufriedenheit. Hurst unterscheidet in Anlehnung an Sinek folgende drei Purpose-Dimensionen:

  • Who: Für wen arbeite ich?
  • Why: Warum arbeite ich?
  • How: Wie arbeite ich?

Die Who-Why-How-Trilogie von Hurst hilft Unternehmen zu ermitteln, welche Angebote sie ihren Mitarbeitern zum Finden des Purpose machen können.

Who: Für wen arbeite ich?

Auf wen oder was Menschen beim Arbeiten ihre Energie fokussieren, unterscheidet sich: Manche haben eher einzelne Personen oder Personengruppen im Blick, andere das Unternehmen und wieder andere eine bestimmte Gemeinschaft oder die Gesellschaft insgesamt.

» Fokus Menschen: Viele Menschen arbeiten bevorzugt für Menschen, die sie persönlich kennen und wertschätzen. Das kann ihr Chef, können aber auch Kollegen sein, die sie nicht im Stich lassen wollen. Ebenso in Frage kommen Kunden, zu denen sie eine persönliche Beziehung entwickelt haben, oder Personengruppen, für die sie besondere Sympathien hegen – zum Beispiel Pferdenarren oder Autisten.

» Fokus Unternehmen: Bei anderen Menschen erwächst die Motivation primär daraus, dass sie sich als Teil eines größeren Ganzen verstehen, zu dessen Wohlergehen oder Erfolg sie ihren Beitrag leisten möchten: zum Beispiel, indem sie für ihr Unternehmen eine strategisch wichtige Software entwickeln. Dabei kann ihr Stolz sich aus unterschiedlichen Wurzeln speisen – zum Beispiel daraus, dass das Unternehmen der Technologieführer ist. Dass es sehr expansiv ist. Oder dass seine flache Hierarchie den Mitarbeitern große Gestaltungsspielräume lässt.

» Fokus Gesellschaft/Gemeinschaft: Bei anderen Menschen speist sich der Sinn primär daraus, dass sie mit ihrer Arbeit in ihren Augen einen Beitrag zum Wohlergehen oder zur Weiterentwicklung der Gesellschaft leisten. Das kann die Gesellschaft als Ganzes sein – etwa wenn das Unternehmen im Umweltschutz aktiv ist. Das kann aber auch eine lokale oder regionale Gemeinschaft sein. Unternehmen sollten auf die Frage „Für wen arbeiten wir?“ eine Antwort haben, denn: Je stärker sich ihre Mitarbeiter mit dem „Who“ identifizieren, desto selbstverantwortlicher und engagierter arbeiten sie.

Why: Warum arbeite ich?

Laut Hurst gibt es zwei Arten des Warums: Entweder tun Menschen etwas, weil sie an das Prinzip „Karma“ glauben, oder weil sie der Welt und den Menschen zu mehr „Gerechtigkeit“ verhelfen möchten.

» Karma: Ans Karma glauben, heißt für Hurst der Überzeugung sein: Das Gute, was ich tue, fällt irgendwie positiv auf mich zurück. Dasselbe gilt für schlechte Taten.
Menschen, die ans Karma glauben, sind überzeugt: Systeme bringen sich immer wieder von selbst ins Gleichgewicht. Deshalb haben sie in der Regel ein liberales Wirtschaftsverständnis. Sie vertrauen auf das freie Spiel der Kräfte und sind überzeugt, dass sich die Märkte stets von selbst ausbalancieren. Bezogen auf das Individuum neigen sie zur Auffassung: Jeder ist – unabhängig von seiner Herkunft – seines Glückes Schmied.

» Gerechtigkeit: Diesem Credo diametral gegenüber steht das Denken der Menschen, die ihr „Warum“ an Gerechtigkeit ausrichten. Sie sind überzeugt: Es bedarf Regeln und einer Steuerung, um Gerechtigkeit sicherzustellen. Diese Überzeugung motiviert sie, einen aktiven Beitrag zum Schutz der (potenziell) Schwachen oder Bedrohten zu leisten – das können ebenso einzelne Menschen wie die Umwelt oder Freiheit sein.

Die Dualität von Karma und Gerechtigkeit spiegelt sich auch in der aktuellen Debatte über die Digitalisierung wider. Während manche Menschen sich auf die Chancen fokussieren, sehen andere primär die Gefahren: etwa dass sich Monopole bilden, die den Wettbewerb aushebeln, oder Überwachungssysteme entstehen, die die bürgerliche Freiheit bedrohen. Daher fordern sie eine staatliche Steuerung, um aus ihrer Warte höherwertige Güter wie Freiheit, Gerechtigkeit, fairen Wettbewerb zu bewahren.

Unternehmen sollten auf die Why-Frage eine Antwort haben, denn diese entscheidet mit darüber, für welche Personen sie attraktive Arbeitgeber sind. Angenommen ein Unternehmen bietet seinen Mitarbeitern die ideale Plattform, um technische Innovationen zu entwickeln. Dann zieht diese Tatsache allein Ingenieure mit einem Karma-Glauben an. Anders sieht dies bei Personen aus, die das Thema Gerechtigkeit beseelt. Sie interessiert eher: Was produziert das Unternehmen? Rüstungsgüter oder Medizintechnik? Und wie sieht seine Ökobilanz aus?

How: Wie arbeite ich?

Das „How“ beschreibt die Art und Weise, also die Strategie mit der Menschen und Unternehmen ihre Ziele erreichen möchten:

» Community-orientiert: Nicht wenige Organisationen sind vor allem deshalb so erfolgreich, weil es ihnen gelingt, ein Netzwerk von Förderern und Unterstützern aufzubauen. Das gilt zum Beispiel für Alumni-Netzwerke vieler privater Hochschulen oder die Fan-Gemeinde von Apple. Auch viele Start-ups haben eine Community, die an sie und ihre Vision glaubt und sie über Plattformen wie Kickstarter finanziell unterstützt.

» Menschenzentriert: Andere Organisationen erreichen ihre Ziele aufgrund ihrer starken Menschenzentrierung. Sie glauben zum Beispiel, dass eine Unternehmenskultur, die den Mitarbeiter als Mensch in den Mittelpunkt stellt, zu den besten Ergebnissen führt. Oder dass Unternehmen, die den Kunden als Mensch in den Fokus nehmen, nachhaltig Erfolg haben.

» Strukturgetrieben: Strukturgetriebene Unternehmen glauben an den Markterfolg durch standardisierte Prozesse, Vorgaben und Regelungen. Sie legen zum Beispiel Wert auf das Erfüllen von Normen und Qualitätsstandards sowie das Erlangen bestimmter Zertifikate.

» Wissensbasiert: Organisationen, die über Wissen am Markt erfolgreich sein wollen, sammeln und analysieren Daten und investieren viel Zeit und Geld in Forschung und Entwicklung sowie in die Weitergabe von Wissen.

Jeder dieser Wege kann zum Erfolg führen. Dessen ungeachtet sollten Unternehmen eine Antwort auf die How-Frage haben, denn diese entscheidet mit darüber: Welchen Menschen bietet das Unternehmen eine Andockstelle, um hieraus ihren persönlichen Sinn abzuleiten? Je stärker sich Mitarbeiter außer mit dem „Für wen“ und dem „Warum“ einer Firma auch mit deren „Wie“ identifizieren können, umso bereitwilliger übernehmen sie eigeninitiativ Verantwortung.

Purpose: Sinn-Empfinden fördert die intrinsische Motivation

Insbesondere beim Besetzen von Schlüsselpositionen sollten Entscheider darauf achten, dass die Kandidaten zum Unternehmens-Purpose passen. Das beugt Fehlbesetzungen vor. Denn Menschen, die beim „Warum“ primär der Faktor Gerechtigkeit interessiert, können vermutlich in einer Non-Profit-Organisation leichter einen Sinn finden als im Investmentbanking einer Privatbank. Sie werden vermutlich auch eher wenig Engagement und Kreativität dabei zeigen, neue lukrative Steuersparmodelle für deren Top-Kunden zu entwickeln.

Unternehmen sollten daher klar kommunizieren, wofür sie stehen – auch in puncto Personal- und Unternehmensführung, denn: Je klarer die Kommunikation ist, umso besser können potenzielle Mitarbeiter für sich entscheiden, inwiefern sie persönlich in dem Unternehmen vermutlich einen Sinn in ihrer Arbeit finden. Und umso weniger Zeit und Energie müssen später die Führungskräfte investieren, um ihren Mitarbeitern den großen Sinnzusammenhang aufzuzeigen. Denn diese sind von sich aus überzeugt „Ich bin hier am richtigen Ort“ und entsprechend stark intrinsisch motiviert!

Joachim Simon ist Führungskräftetrainer und -coach. 2020 erschien im Haufe-Verlag sein Buch „Selbstverantwortung im Unternehmen: Was Sie als Führungskraft dafür tun können“. Zu diesem Thema hält er auch Vorträge und Seminare.