Mentale Gesundheit am Arbeitsplatz

mentale_gesundheit_arbeitsplatz

Oft sind wir uns gar nicht bewusst, dass wir Gefahr laufen auszubrennen. Was wir persönlich gegen Erschöpfung und Kraftlosigkeit – und für unsere mentale Gesundheit am Arbeitsplatz tun können, weiß Antje Heimsoeth. Sie arbeitet als Business- und Mental-Coach und ist Expertin für die Themen mentale und emotionale Stärke, Positive Leadership, Motivation und Selbstführung.

Ängste, Hilflosigkeit, Wut, Ärger, Frustration, Sorge sind keine neuen Phänomene. Was neu ist, sind die Umstände, denen wir ausgesetzt sind. Die Umstände einer sich zunehmend schneller drehenden Welt, die Umstände immer tieferer Verzweigungen, die Umstände einer immer lauteren und präsenteren Medienlandschaft, die Umstände dauerhafter Erreichbarkeit durch Smartphone und Co. Aber auch seit mittlerweile fast zwei Jahren die Umstände der Doppel- und Mehrfachbelastungen durch Pandemie, Quarantäne beziehungsweise Isolierung, Home-Office, Home-Schooling, Kinderbetreuung usw.

Was kann jeder Einzelne persönlich für mehr mentale Gesundheit tun?

Fragen wir uns also: Was können wir ganz persönlich dagegen tun? Gegen die Erschöpfung, gegen die Kraftlosigkeit? Für uns selbst und für andere. Gerade Führungskräfte sind hier mehrfach gefragt: Wie können geschaffene Strukturen Team und Mitarbeiter schützen, um nicht auszubrennen? Stichwort Prävention. Oft sind sich Menschen gar nicht bewusst, dass sie Gefahr laufen, auszubrennen. „Das dauert nur bis Projekt XY abgeschlossen oder die Urlaubszeit vorüber ist …“ Das kann auch ein Warnzeichen sein. Der Grat ist sicher schmal. Aktives Hinhören ist immer hilfreich, um Ängste zu erkennen. Ebenso Führungskräfte, die empathisch sind, die nicht bagatellisieren und Floskeln nutzen, wenn ein Mitarbeiter Angst hat. Sondern sagen: „Ja, ich sehe das!“ und „Was kann ich für dich tun? Was brauchst du an inneren und äußeren Ressourcen?“

Aber auch: Wie kann Betroffenen geholfen werden, wenn die Erschöpfung bereits die Oberhand hat? Stichwort Hilfe anbieten. Und wie verlieren wir uns dabei selbst nicht aus dem Blick? Natürlich soll und kann niemand einen Coach oder gar einen Therapeuten ersetzen. Und ab einem gewissen Punkt sind Führungskräften auch die Hände gebunden – wenn es nur noch mit professioneller Betreuung geht, ist das einzige Instrument, das sie haben, ihrem Mitarbeiter den Rücken frei zu halten und Zeit zu geben. Deshalb: Vorsorge treffen, indem vor Tag X die nötigen Strukturen bereitstehen, sodass Betroffene (das können auch Führungskräfte selbst sein) ohne Druck und schlechtes Gewissen „abschalten“ und gesunden können.

Mentale Gesundheit am Arbeitsplatz kann man nicht „erzwingen“

Gerade jetzt während der Pandemie haben sich viele Unternehmen mit Coaches, Therapeuten und anderen Ansprechpartnern zusammengetan und stellen den Mitarbeitern zumindest entsprechende Adressen zur Verfügung. Adressen, an die sich Mitarbeiter wenden können, wenn sie das Gefühl haben, jemand von außen zu brauchen – zum Zuhören, für ein Gespräch oder auch fachkundige Hilfe. Ebenso entsprechende Trainings können beim Erkennen und Bewältigen von Ängsten, Blockaden oder Erschöpfungszuständen helfen.

Es gibt bereits Unternehmen, die dort vorangehen und Trainings anbieten – für Führungskräfte und Mitarbeiter. Erfahrungsgemäß nehmen Mitarbeiter das Angebot von Vorträgen und Trainings zum Thema Mentale Gesundheit eher selten wahr, nach dem Motto „Wasch mich, aber mach mich nicht nass …“. Schade eigentlich. Muss man Mitarbeiter also vielleicht sogar förmlich zu ihrem Glück zwingen? Ja! Also selbst wenn Mitarbeiter die Angebote oft nicht so annehmen wie erhofft, diese mit noch mehr Nachdruck anbieten. Verpflichtung zur Teilnahme für Mitarbeiter schaffen – nicht aus der Triebfeder des Zwangs, sondern aus der Fürsorge für Mitarbeiter heraus. Verbindliche Vorträge, die aufklären und sensibilisieren – und zwar für alle! Ergänzend kann man sich Follow-ups überlegen, zum Beispiel online, als Podcastfolge oder per E-Mails, die dann die nächsten etwa zehn Tage regelmäßig verschickt werden. Dabei gilt es, so wenig Hürden als möglich einzubauen: Eine E-Mail mit Direktverlinkung wird eher gelesen, als dass sich jemand aktiv einloggt, um eine Podcastfolge zu hören oder sich ein Video anzuschauen.

Eigeninitiative für mehr mentale Gesundheit

Trotz alledem ist die Eigeninitiative jedes Einzelnen gefragt – egal, ob als Führungskraft oder als Mitarbeiter: „Wie geht es mir?“, „Was brauche ich?“, „Wann, wo und wie stoße ich an meine Grenzen?“ und „Was kann ich selbst tun?“ Dazu gehört, sich nicht blind darauf zu verlassen, ob oder welche Hilfsangebote existieren. Sich umschauen, informieren und – unangebrachte Scham beiseite – proaktiv auf die HR-Abteilung zugehen und sagen: „Ich brauch das! Zahlt ihr mir das?“ Und im Fall der Fälle es auch mal selbst bezahlen, weil eben nicht nur das Unternehmen, sondern vor allem wir selbst für uns verantwortlich sind. Wir geben ja auch Geld aus für unseren Urlaub, fürs Essengehen, für den Besuch beim Friseur oder im Wellness-Spa. Und genauso kann und sollte jeder in ein Training/eine Fortbildung investieren, zumal Mitarbeiter als auch Führungskräfte die Ausgaben von der Steuer absetzen können.

Positive Stimmung bewusst erleben und genießen

Was vielen persönlich im Alltag hilft, ist, Erfolge zu feiern. Dabei geht es nicht um die große Sause bei Abschluss eines riesigen Projekts oder eines lukrativen Auftrags. Ganz klar, das können und sollen durchaus Gründe zur Freude sein. Dröseln wir aber unser tägliches Tun noch etwas feiner auf. Konzentrieren wir uns nicht nur auf die großen Meilensteine, sondern nehmen wichtige Etappenziele oder vermeintlich ganz kleine Erlebnisse ins Visier unserer Aufmerksamkeit. „Was ist mir in den letzten Tagen positiv aufgefallen?“ Im Team, im Umgang mit Kunden, mit einem Produkt? Sich selbst auf die Schulter zu klopfen, weil etwas gut funktioniert hat, nochmals mit einem Freudegrinsen auf die Erfolge der Woche, des Tages, der letzten Besprechung oder der letzten fünf Minuten zurückzublicken. Es wirkt! So richtig, wenn wir unsere Mitarbeiter teilhaben lassen: Wenn wir nachfragen, was Gutes passiert ist, was jeder Einzelne oder das Team miteinander erreicht hat. Um dann nach vorne zu blicken: Auf das, worauf es sich lohnt, es mit (Vor-)Freude zu erwarten.

Verlieren wir die mentale Gesundheit nicht aus dem Blick: bei akut vorliegenden Fällen ebenso wie in der wichtigen und nötigen Vorbeugung, bei der Schaffung und Erhaltung eines gesunden Arbeitsumfelds. Es ist gut, täglich dafür einzustehen – zum Selbstzweck und für alle anderen.