Dr. Karin Schreiner ist Expertin für Interkulturelle Kompetenz und gibt in ihrem jüngst veröffentlichten Buch zahlreiche Tipps und Anregungen, wie man kulturelle Vielfalt richtig managen kann. Wir haben mit ihr darüber gesprochen, wie wir interkultureller Vielfalt im Arbeitsalltag begegnen können.
BILDUNGaktuell: Wie können sich Mitarbeiter für den Umgang mit Kollegen aus anderen Kulturen oder auf den Besuch in einer anderen Firmenniederlassung vorbereiten?
Dr. Karin Schreiner: Idealerweise bietet das Unternehmen selbst regelmäßig interkulturelle Trainings an, um die betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für unterschiedliche Kulturen zu sensibilisieren und ihr Kulturwissen zu erweitern. In diesen Trainings werden zahlreiche Situationen diskutiert, die in so einem interkulturellen Arbeitskontext auftreten können. Beispiele, Rollenspiele, Simulationen, Kommunikationsübungen helfen den Betroffenen, diese Situationen durchzuspielen und zu reflektieren.
Wenn das nicht der Fall ist, wie können sich Mitarbeiter in Eigenregie auf eine neue Kultur einstimmen?
Es besteht die Möglichkeit, auch auf individueller Basis mit einem interkulturellen Coach zusammenarbeiten. Ziel eines interkulturellen Coachings ist es, kulturelles Bewusstsein und interkulturelle Kompetenz zu entwickeln. Dabei steht zunächst die Selbstreflexion über den eigenen kulturellen Hintergrund im Fokus, um auf dieser Basis bewusst auf Menschen aus anderen kulturellen Kontexten zugehen zu können. Das ist ein Lernprozess, der einige Zeit dauert und fortwährender Übung bedarf – vergleichbar mit Sprachen-Lernen.
Natürlich gibt es zahlreiche Literatur über Business-Gepflogenheiten in anderen Ländern. Die Gefahr besteht, dass kulturelle Unterschiede auf oberflächliche Verhaltensweisen reduziert werden und so genannte Do’s and Don’ts als einzige Richtlinien für den Umgang mit anderen Kulturen verwendet werden. Diese Ebene greift zu kurz und kann nur als erste Orientierung gelten. Um in die Tiefe zu gehen und die Wertehaltungen, die hinter kulturell unterschiedlichen Verhaltensweisen liegen, wirklich zu erfassen, ist es erforderlich, auf solide Literatur zurückzugreifen. Darüber hinaus sind die Bereiche Geschichte, Sozialgeschichte, Politik, Ökonomie gute Quellen, um die Hintergründe für Sozialstrukturen und Verhaltensweisen herauszufinden. Auf dieser Basis kann gegenseitiges Verstehen und Verständnis entwickelt werden.
Interkulturelle Vielfalt: Wie sollten wir auf Menschen, Kollegen mit Migrationshintergrund zugehen?
Die Migration hat in Österreich eine lange Geschichte. Viele Menschen leben in Österreich, deren Großeltern vor Jahrzehnten eingewandert sind. Sie sind österreichische Staatsbürger und in ihrem Habitus durch und durch „Österreicher“, auch wenn ihr Aussehen auf eine andere Nationalkultur schließen lässt.
Ich erinnere mich an eine junge Frau indischer Abstammung (ihre Eltern sind aus Indien nach Österreich ausgewandert, sie ist in Österreich geboren), die zu mir kam und in einem breiten oberösterreichischen Dialekt mit mir sprach. Sie beklagte sich sehr darüber, dass sie in ihrer Heimatstadt Linz immer wieder auf ihre Herkunft angesprochen werde – ihre Mandelaugen verrieten klar ihre indische Herkunft -, dass sie es aber nicht mehr aushalte, immer wieder auf ihre Nicht-Zugehörigkeit zur österreichischen Gesellschaft hingewiesen zu werden. Sie wolle deshalb nach Großbritannien auswandern. Sie habe es satt, das Gefühl zu haben, nicht dazuzugehören, obwohl sie in Österreich geboren ist und sich als Österreicherin fühle.
In einer kulturell vielfältigen Gesellschaft steht die geografische Herkunft nicht mehr im Vordergrund. Vor kurzem sprach ich mit einem jungen Mann, der halb philippinisch-halb österreichisch ist, der aber noch nie auf den Philippinen war, obwohl er in mehreren Ländern gelebt hatte. Dieser junge Mann hat kaum eine Beziehung zum Heimatland seiner Mutter und eine Frage nach seiner „Herkunft“ wird wohl eher Fragen als klare Antworten hervorrufen.
BILDUNGaktuell-Buchtipp
Kulturelle Vielfalt richtig managen – die neuen Herausforderungen der globalisierten Arbeitswelt” (Karin Schreiner; Verlag Fischer & Gann, 2017)
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Mich berühren diese Geschichten sehr: Sie zeigen klar auf, dass ein Umdenken erforderlich ist, wie wir Länder, Gesellschaften und Kulturen wahrnehmen. Nationalkulturen spiegeln in keiner Weise eine kulturelle Homogenität wider. Kaum ein Land heute besteht aus einer kulturell homogenen Gesellschaft. Auch eine Staatsbürgerschaft sagt nichts über die kulturelle Herkunft einer Person aus. Daher ist es wichtig zu sehen, dass kulturelle Heterogenität ein Bestandteil unserer Gesellschaft ist.
Menschen auf ihre Herkunft anzusprechen ist sehr sensibel. Ich rate, während des Gesprächs über die Geschichte der Person mehr herauszufinden, anstatt sie direkt auf der Basis ihres Aussehens auf den Migrationshintergrund anzusprechen. Das kann sehr diskriminierend aufgefasst werden – je nach den Erfahrungen, die diese Person bereits gemacht hat. Es stellt sich die Frage, wie wichtig die Herkunft einer Person ist, oder ob nicht andere Aspekte aussagekräftiger und interessanter sind.
Im öffentlichen Diskurs hören wir oftmals die Aussage: Wer da leben will, muss sich auch anpassen. Was sagen Sie als Expertin dazu?
Integration ist ein Prozess, der beidseitig passiert. Integration ist kein einseitiger Vorgang, sondern ein Veränderungsprozess, der die gesamte Gesellschaft betrifft, und natürlich auch die Migranten. Wer in ein Land einwandert und erfolgreich sein will, muss sich anpassen. Das zeigen viele Erfolgsgeschichten. Das heißt aber nicht, dass die eigene Kultur völlig aufgegeben wird, sie verändert sich. Auf der anderen Seite ist Ethno-Marketing längst Bestandteil der Marketingstrategien von Dienstleistungsunternehmen und die Mehrsprachigkeit der zweiten und dritten Generation wird heute als Asset gesehen und ist am Arbeitsmarkt sehr nachgefragt.
Wie sind die Auswirkungen der Migration auf unsere Gesellschaft?
Nach und nach erkennen wir auf unternehmerischer Ebene die Ressourcen dieser Gruppen und beziehen sie bewusst mit ein. Wir nehmen Ressourcen wie Mehrsprachigkeit, Bikulturalität wahr und greifen auf sie zurück. Das Puzzle Gesellschaft wird immer vielfältiger und reicher. Viele Facetten sind nicht mehr wegzudenken und würden uns fehlen. Auf kultureller Ebene widerspiegelt sich die Vielfalt an anschaulichsten, z.B. ethnische und internationale Musik-Festivals, internationale Literaturwettbewerbe usw., zeigen in positiver Weise, wie kultureller Austausch auf gegenseitiger Ebene passiert.
Auch die Sprache zeigt an, wie die kulturelle Vielfalt Bestandteil unserer Gesellschaft geworden ist. Viele Ausdrücke gelten heute als diskriminierend. Die Sensibilität für Bezeichnungen ethnischer Herkunft ist enorm gestiegen. Die Auswirkung von Migration zeigt sich in der Öffnung unserer Gesellschaft, neue Elemente aufzunehmen und zu integrieren. Während gleichzeitig die Anpassungsleistung von Seiten der Einwandernden ebenso passiert – sprachlich, auf der Verhaltensebene, in der Anerkennung von Kern-Werten des Aufnahmelandes. Das ist Integration – ein beidseitiger Veränderungsprozess.
Welche Vorteile haben Unternehmen, wenn Sie interkulturelle Kompetenz in ihrem Betrieb fördern?
Interkulturelle Kompetenz bezeichnet mehrere Fähigkeiten, die in einem internationalen und interkulturellen Umfeld wichtig sind. Dazu gehören kultursensible Kommunikationsfähigkeit und damit das Erkennen unterschiedlicher Kommunikationsstile, die gezielt situativ eingesetzt werden können. Sensibilität für kulturelle Unterschiede und die Notwendigkeit, auf sie zu empathisch zu reagieren, sowie eine hohe Toleranz für schwierige und unvorhersehbare Situationen. Interkulturelle Kompetenz beinhaltet eine Reihe von Sozialkompetenzen und einen kultursensiblen Umgang mit kulturell unterschiedlichen Verhaltensweisen.
Im Unternehmenskontext ist dies eine wichtige Ressource bei Mitarbeitenden. Da heute viele Unternehmen international besetzt sind und Mitarbeitende oft aus unterschiedlichen Ländern stammen, ist es wichtig, auf kulturelle Unterschiede in der Belegschaft angemessen zu reagieren bzw. die Unterschiede überhaupt wahrzunehmen.
Vieles tun wir unbewusst. Abläufe in Unternehmen werden nicht hinterfragt, Meetings laufen nach einem Muster ab, Dokumentationsvorgänge werden nicht extra erklärt – all diese Prozeduren sind Teil einer Kultur und Unternehmenskultur. Erst in der Zusammenarbeit mit Mitarbeitenden aus anderen Ländern kommen Aspekte zur Sprache, um z.B. Prozesse zu optimieren, an die wir bis dahin nicht gedacht hätten.
Interkulturelle Kompetenz bedeutet daher nicht nur eine Sensibilität für andere Kulturen, sondern auch das Erkennen von sogenannten „blinden Flecken“, Selbstverständlichkeiten, die wir nicht hinterfragen, die jedoch in einem interkulturellen Umfeld für andere nicht selbstverständlich, sondern mitunter ungewohnt oder unverständlich sind.
Mitarbeitende, die über interkulturelle Kompetenz verfügen, sind für ein Unternehmen sehr wertvoll, da sie nicht nur Empathie und Achtsamkeit im Umgang mit Kollegen aus anderen Ländern mitbringen, sondern auch zahlreiche Aspekte in unternehmerischen Prozessen bewusst wahrnehmen, und diese ihren Kollegen erklären oder sie darüber informieren. Sie sind fähig, über ihren eigenen Tellerrand zu blicken und mit den Augen der anderen zu sehen – eine unschätzbare Fähigkeit.