Hyperfokussierung: Fokussieren, aber richtig!

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In einer Welt voller Reizüberflutung wird es für viele Menschen immer schwieriger ihre Aufmerksamkeit gezielt zu lenken und sich darauf zu konzentrieren, ihre Aufgaben effizient zu erledigen. Wie Sie mit Hyperfokussierung produktiver, kreativer und entspannter werden, zeigt Chris Bailey, Produktivitätsexperte und Bestsellerautor.

Können Sie sich gut auf eine Aufgabe konzentrieren oder laufen Sie meist im Autopilotmodus? Rund 40 Prozent unserer Handlungen finden nämlich in diesem Modus statt. Das sorgt dafür, dass wir bei Routineaufgaben nicht zu viel Konzentration vergeuden. Aber es gibt tatsächlich einige Dinge, auf die wir uns konzentrieren sollten. Doch unsere Aufmerksamkeit wird ständig gestört: Wir unterbrechen eine aktuelle Aufgabe, um eine Mail des Chefs zu beantworten. Im Gespräch hören wir unserem Gegenüber nicht aufmerksam zu, weil wir gedanklich bereits mit unserer Antwort beschäftigt sind. Zwar hilft uns der Autopilot, durchs stressige Alltagsleben zu navigieren. Aber wenn es Ihnen gelingen würde, sich häufiger ganz bewusst auf etwas zu fokussieren, könnten Sie viele Aufgaben produktiver und mit mehr Kreativität angehen.

Es gibt vier Arten von Aufgaben. Um sich ein Bild davon zu machen, wie sinnvoll Sie Ihre Aufmerksamkeit einsetzen, sollten Sie anstehende Aufgaben in diese vier Kategorien unterteilen:

  1. Notwendige Aufgaben sind unattraktiv, aber durchaus produktiv. Auch wenn sie keinen Spaß machen, müssen Sie sie erledigen. Beispiele dafür sind Teambesprechungen oder Telefonate zu den Quartalszahlen.
  2. Zielführende Aufgaben sind sowohl produktiv als auch attraktiv. Bei einem Finanzberater wären das beispielsweise Kundengespräche.
  3. Unnötige Aufgaben sind unproduktiv, etwa wenn Sie die Papiere auf Ihrem Schreibtisch ordnen. Solche Aufgaben sind reine Zeitfresser und meistens ein Vorwand, um produktive Aufgaben nicht zu erledigen.
  4. Ablenkende Aufgaben sind besonders gefährlich: Sie sind unproduktiv und bringen nichts – trotzdem beschäftigen wir uns gern mit ihnen. Beispiele dafür sind Handyspiele und alles, was mit Social Media zu tun hat.

Ihr Aufmerksamkeitsraum ist begrenzt

11 Millionen Bits von Sinneseindrücken prasseln sekündlich auf unser Gehirn ein – aber nur 40 davon kann es tatsächlich verarbeiten. Das Kurzzeitgedächtnis speichert durchschnittlich sogar nur vier. Da rauscht eine Menge vorbei. Sie haben also nur eine begrenzte Kapazität, Ihr Bewusstsein aktiv auf etwas zu richten und es gleichzeitig zu verarbeiten. Diese Kapazität ist Ihr Aufmerksamkeitsraum. Er ist knapp. Sie können vielleicht lesen und gleichzeitig eine Tasse Kaffee trinken, aber Sie werden es nicht schaffen, zu lesen und gleichzeitig eine Nachricht zu schreiben.

Oftmals wandern Ihre Gedanken allerdings von Ihrer gegenwärtigen Tätigkeit oder Situation weg in Ihre Vergangenheit oder Zukunft. Machen Sie sich immer wieder bewusst, woran Sie im Moment denken und was gerade Ihre Aufmerksamkeit braucht; man nennt dies Meta-Bewusstsein.

Erledigen Sie beim Multitasking nur einfache oder Routineaufgaben

Die abschweifenden Gedanken wieder auf das Thema zu richten, mit dem Sie sich gerade beschäftigen: Genau das steckt auch hinter dem viel zitierten Begriff „Achtsamkeit“. Komplexe Aufgaben verlangen meist Ihre ungeteilte Aufmerksamkeit. Routineaufgaben hingegen können gut mit anderen Tätigkeiten kombiniert werden – sofern diese nicht zu komplex sind. So können Sie etwa prima Autofahren und parallel Podcasts hören, um sich weiterzubilden.

Mehrere Parallelhandlungen können allerdings dazu führen, dass Sie sich später nicht mehr an Details erinnern. Das bedeutet auch, dass Lerneffekte verpuffen. Beim Wechsel zwischen zwei anspruchsvollen Tätigkeiten verbleibt eine Restaufmerksamkeit bei der vorherigen Tätigkeit. So können Sie sich zum Beispiel in einem Meeting nicht auf das Gesagte konzentrieren, weil Sie kurz zuvor an einem Projekt gearbeitet haben. Forschungen haben ergeben, dass man bis zu 50 Prozent länger für eine Aufgabe braucht, wenn man ständig hin und her wechselt. Darum ist es sinnvoll, erst einmal eine Pause einzulegen, bevor man mit einer neuen Aufgabe beginnt.

Hyperfokussierung ist die bewusste und zielgerichtete Konzentration auf eine Aufgabe

Fast die Hälfte des Tages schweifen wir gedanklich ab. Auch wenn das manchmal sinnvoll sein kann, hilft es nicht dabei, komplexe Aufgaben schnell zu erledigen. Damit Sie trotz solcher Abschweifungen schnell wieder in Ihren Arbeitsrhythmus zurückfinden und produktiv sind, wenden Sie die Hyperfokussierung an. Das bedeutet: Sie konzentrieren sich bewusst und zielgerichtet so intensiv auf eine Aufgabe, dass diese Ihren Aufmerksamkeitsraum vollkommen ausfüllt. Eine solche Hyperfokussierung macht zufrieden und wirkt gerade bei komplexen Aufgaben als Produktivitätsbooster.

Die Regeln der Hyperfokussierung sind zwar simpel, aber es ist schwierig, sie einzuhalten. Suchen Sie sich ein Objekt oder eine Aufgabe, der Sie Ihre volle Aufmerksamkeit schenken. Gleichzeitig blenden Sie alle Ablenkungen aus. Konzentrieren Sie sich auf Ihre Tätigkeit und lenken Sie Ihre Gedanken auch schnell wieder darauf zurück, wenn sie abzuschweifen drohen. Wichtig ist, dass Sie sich aktiv entscheiden, Hyperfokussierung anzuwenden. Ein paar Tipps dazu:

  • To-do-Listen sind effektiv: Sind sie sehr lang, entscheiden Sie sich für die Aufgabe mit der größten Wirkung.
  • Ebenso hilfreich ist die „Dreierregel“: Überlegen Sie sich jeden Morgen drei Dinge, die Sie an diesem Tag erreichen wollen.
  • Formulieren Sie Ihre Ziele möglichst konkret. Das steigert die Chance, sie tatsächlich umzusetzen. Konkreter als das Ziel „Ins Fitnessstudio gehen“ ist das Ziel „Zeit einplanen und während der Mittagspause im Fitnessstudio trainieren“.
  • Stellen Sie sich einen stündlichen „Bewusstseinswecker“. Sobald der klingelt, fragen Sie sich, ob Sie sich gerade auf die richtige Aufgabe konzentriert haben, ob Sie sich im Autopilotmodus befunden haben oder wie voll Ihr Aufmerksamkeitsraum gerade ist.
  • Legen Sie schon am Wochenanfang fest, in welchen Zeiträumen Sie hyperfokussieren wollen – als Hinweis an sich selbst und an andere, dass Sie zu diesen Zeiten nicht abgelenkt oder gestört werden wollen.

Auf viele Ablenkungen im Arbeitsalltag haben Sie einen Einfluss – kontrollieren Sie sie. Wahrscheinlich lassen Sie sich ganz gern ablenken. Ihr Gehirn ist süchtig nach Neuem – deshalb nutzt es jede Möglichkeit, eine vermeintlich langweilige Aufgabe zu unterbrechen, um sich Interessanterem zuzuwenden. Natürlich gibt es im Lauf eines Arbeitstages Ablenkungen, die Sie nicht kontrollieren können, etwa das Klingeln des Telefons, laute Kollegen oder Meetings. Doch es gibt auch solche, die Sie kontrollieren können – und sogar sollten. Beispiele dafür sind Mails, Smartphone, Instant Messaging und viele Anwendungen aus den sozialen Medien.

Apps, Flugmodus und Noise-Cancelling-Kopfhörer helfen, Ablenkungen zu vermeiden

Machen Sie sich eine Liste mit allen Dingen, die Sie üblicherweise unterbrechen – und entfernen Sie diese rigoros. Es gibt Apps und PC-Programme, die Ablenkungen blockieren und Ihr Arbeitsgerät zeitweise in eine stumme, ablenkungsfreie Maschine verwandeln. Stellen Sie auch Ihr Smartphone auf stumm. Teilen Sie Ihren Kollegen vorher mit, dass Sie zu bestimmten Zeiten nicht erreichbar sind. Wenn Sie in lauter Umgebung arbeiten müssen, können Sie sich auch Kopfhörer mit Lärmunterdrückung, dem sogenannten Noise-Cancelling, anschaffen.

Nutzen Sie Ihre Zeit ganz bewusst. Wenn Sie mit Kollegen einen Kaffee trinken, aktivieren Sie den Flugmodus auf Ihrem Handy. So können Sie sich ganz und gar auf das Gespräch konzentrieren. Wenn Sie sich Ihren Mails widmen, tun Sie das nur, wenn Sie tatsächlich die Zeit und Aufmerksamkeit aufbringen können, um sich damit zu beschäftigen. Beantworten Sie Mails in genau fünf Sätzen, um effizienter zu sein. Sollten Sie mehr benötigen, rufen Sie stattdessen lieber an. Meetings sind wahre Zeitkiller. Vor allem offene Meetings ohne Agenda. Fragen Sie also immer nach Ziel und Zweck eines Meetings und geben Sie auch für eigene Besprechungen entsprechende Bedingungen vor.

Komplexe Aufgaben füllen Ihren Aufmerksamkeitsraum und begünstigen damit Hyperfokussierung

Wenn eine Aufgabe Sie weder unter- noch überfordert, besteht eine große Chance, dass Sie ganz darin aufgehen. Stellen Sie dagegen fest, dass Ihre Gedanken während der Arbeit wandern, sollten Sie versuchen, die Komplexität Ihrer Aufgaben zu erhöhen. Routineaufgaben belohnen uns unmittelbar, deshalb übernehmen wir sie in der Regel gern.

Komplexe Aufgaben sind anstrengend, aber meist auch sinnvoller. Allerdings erhöhen wir oft unbewusst den Anteil der Routineaufgaben, weil sie uns das Gefühl geben, viel geleistet zu haben. Das führt dazu, dass weniger sinnvolle, simple Aufgaben gleich viel Zeit in Anspruch nehmen wie anspruchsvolle. Wenn Sie Hyperfokussierung zu einem täglichen Ritual machen, bewältigen Sie mehr sinnvolle, komplexe Aufgaben, weil Sie sich zwingen, den inneren Widerstand gegen die anspruchsvollen Aufgaben zu überwinden. Schon nach fünf Minuten hyperfokussierten Arbeitens wird es Ihnen leichter fallen, die Aufgabe fortzusetzen.

Bei der Streufokussierung versetzen Sie Ihr Gehirn in einen kreativen Bewusstseinsstrom

Trotz allem gibt es gute Gründe, die Gedanken auch mal wandern zu lassen: und zwar bei kreativer Problemlösung. Die sogenannte Streufokussierung ist eine ganz andere Herangehensweise als die zuvor beschriebene Hyperfokussierung. Sie müssen sie aber genauso bewusst anstoßen. Es geht also nicht um das unbewusste Abschweifen der Gedanken, sondern um einen ungezwungenen, aber absichtlichen Bewusstseinsstrom.

Bei der Streufokussierung befassen Sie sich nicht ausschließlich mit der Gegenwart, sondern auch mit Vergangenheit und Zukunft. Wenn Sie abschweifen, dann oftmals zu Gedanken über die Zukunft. Wir denken immer wieder darüber nach, wie die unmittelbare Zukunft gestaltet werden kann. Das können Gedanken zu fundamentalen Entscheidungen sein, die auf Sie zukommen – oder einfach dazu, wie Sie die Frühstückseier morgen essen werden.

Das Gehirn ist ein Netzwerk und Ideen liegen darin meist ungeordnet nebeneinander. Bei der Streufokussierung werden unterschiedliche Ansatzpunkte miteinander verknüpft – und neue Ideen können entstehen. Probleme, die Sie noch nicht gelöst haben, sind Ihnen viel bewusster als die bereits gelösten. Die Streufokussierung verknüpft diese ungelösten Probleme mit neuen Impulsen und Erkenntnissen, bis Sie auf eine Lösung kommen. Streufokussierung lässt sich unterschiedlich anwenden:

  • Erfassen Sie Ihr Bewusstsein: Lassen Sie Ihren Gedanken 15 Minuten lang freien Lauf und schreiben Sie alles auf, was Ihnen dabei in den Sinn kommt. Sie werden staunen, wie viele wichtige Dinge dabei an die Oberfläche kommen.
  • Lösen Sie Probleme: Beauftragen Sie Ihr Gehirn mit der Lösung eines bestimmten Problems, aber lassen Sie es das Problem zwanglos von allen Seiten erforschen – zum Beispiel im Rahmen eines Spaziergangs, auf Reisen oder beim Musikhören.
  • Habituelle Streufokussierung: Gehen Sie bewusst einer Routinetätigkeit nach und lassen Sie dabei Ihren Gedanken freien Lauf. Diese Art der Streufokussierung ist die effektivste, denn Ihr Gehirn wird so lange versuchen, lose Enden zu verbinden, bis Sie Ihre Tätigkeit abgeschlossen haben. Die gewählte Tätigkeit sollte viel Platz in Ihrem Aufmerksamkeitsraum frei lassen und Ihnen bestenfalls auch Spaß machen. So können sich neue Ideen formen, während Sie zum Beispiel Kaffee holen oder schwimmen. Notieren Sie sich auch hier die verschiedenen Erkenntnisse.

Unterschiedliche Fokussierungsarten sorgen für mehr Energie oder mehr Effizienz

Streufokussierung hat viele Vorteile. Damit Sie sie für Ihr Wohlergehen nutzen, hier ein paar wichtige Hinweise:

  • Schöpfen Sie neue Energie: Im Tagesverlauf nimmt Ihre geistige Energie ab und Sie lassen sich immer leichter ablenken. Ihr Aufmerksamkeitsraum schrumpft. Dann ist es Zeit für eine Pause, am besten alle 90 Minuten und mindestens 15 Minuten pro gearbeitete Stunde. Pausen sind notwendig, um produktiv zu sein. In einer Pause füllen Sie Ihren Energievorrat auf – und machen so weniger Fehler. Außerdem wirkt in ihnen die Macht der Streufokussierung.
  • Sorgen Sie für wertvollen Input: Wenn Ihr Gehirn während der Streufokussierung Informationen verknüpft, ist es sinnvoll, ihm viele Informationen zur Verfügung zu stellen. Dazu können Sie etwa in eine reizintensive Umgebung wie eine Buchhandlung gehen oder bei einem Abendessen die Menschen um sich herum beobachten. Da Ihre Aufmerksamkeit begrenzt ist, müssen Sie filtern, welche Information nur nützlich, nützlich und unterhaltsam oder einfach nur unterhaltsam und damit tendenziell wertlos ist. Das Medium ist nicht wichtig, die Substanz entscheidet: Bücher, Hörbücher oder Vortragsvideos haben alle einen hohen Nutzwert und können trotzdem unterhaltsam sein. Unnütz sind dagegen die meisten Social-Media-Kanäle. Überdenken Sie also, wie viel von welchen Informationen Sie konsumieren.
  • Kombinieren Sie Hyperfokussierung und Streufokussierung: Da Sie nicht beide Methoden gleichzeitig anwenden können, sollten Sie sie ergänzend kombinieren. Hyperfokussieren Sie einmal täglich, um komplexe Probleme zu lösen. Streufokussieren Sie mehrmals täglich für mehr Energie, Zufriedenheit und kreative Impulse.

Dieser Text ist ein Auszug aus der Buchzusammenfassung von getAbstract, einem der weltweit größten Anbieter von Sachbuch-Zusammenfassungen. getAbstract findet, bewertet und fasst relevantes Wissen zusammen und hilft Menschen so, beruflich und privat bessere Entscheidungen zu treffen. 

BILDUNGaktuell-Buchtipp

Hyperfocus (Redline, 2019)Immer mehr Menschen haben immer mehr To-dos und immer weniger Zeit. So wird es immer schwieriger, sich darauf zu konzentrieren, Aufgaben zufriedenstellend und effizient zu erledigen.
Chris Bailey zeigt in seinem Buch „Hyperfocus” (Redline, 2019) wie man sich eine produktivere Umgebung schafft und wie man lernt, Prioritäten richtig zu setzen. Die Kunst dabei ist es, sich im richtigen Moment zu fokussieren.

Über den Autor

Chris Bailey ist Produktivitätsexperte und Bestsellerautor.