Immer mehr Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Unternehmen stammen aus unterschiedlichen Ländern. Arbeitsmobilität ist eine treibende Kraft innerhalb der Europäischen Union. Dr. Karin Schreiner gibt in ihrem jüngst veröffentlichten Buch zahlreiche Tipps und Anregungen, wie man kulturelle Vielfalt im Arbeitsalltag richtig managen kann. Wir haben mit ihr über Chance und Herausforderungen einer multikulturellen Gesellschaft gesprochen.
BILDUNGaktuell: Worin liegen die Herausforderungen in der kulturellen Vielfalt?
Dr. Karin Schreiner: Mit einem Beschäftigtenanteil von rund 15 Prozent an nicht- österreichischen Staatsbürgern liegt Österreich in der EU an der Spitze. Heute hat jeder fünfte Österreicher Migrationshintergrund: Rund 20 Prozent der heimischen Bevölkerung hat nicht-österreichische Wurzeln. Davon sind 40 Prozent aus EU Staaten, denn die meiste Migration kommt aus den EU Ländern. 29 Prozent der Zugewanderten stammen aus dem ehemaligen Jugoslawien, 15 Prozent haben türkischen Hintergrund und 17 Prozent kommen aus Nicht-EU Ländern. Die größte Gruppe kommt nach wie vor aus Deutschland, gefolgt heute von Rumänien und Ungarn. Die Gruppe der Migranten ist sehr heterogen in Bezug auf Bildung. In Österreich überwiegt bei den Arbeitsmigranten die Gruppe der niedrigqualifizierten Arbeitnehmer – das schlägt sich auch in der Schulsituation nieder.
Worin liegen die Chancen?
Österreich braucht Arbeitsmigranten, um den demografischen Wandel zu bewältigen. 2020-2030 gehen die Babyboomer in Pension, diese Pensionen werden auch von den Arbeitsmigranten bezahlt. Kulturelle Vielfalt schlägt sich in Zweisprachigkeit und Bikulturalität nieder. Daraus kann ein Land großen Nutzen ziehen. In vielen Jobs, wie beispielsweise im Bildungs- und Pflegebereich, sind diese Kompetenzen äußerst gefragt. Bei der Heim-Pflege ist man in Österreich abhängig von Arbeitsmigranten aus den Nachbarländern. Diese sprechen oft die Sprache der zu Pflegenden und kennen ihre Kultur. Das ist ein bedeutender Nutzen. Auch die Polizei rekrutiert mehr und mehr Personen mit Migrationshintergrund, weil sie die Sprache und Kultur vieler Migranten sprechen und verstehen.
Was sind die Probleme der Interkulturalität im Bildungsbereich?
Österreichweit haben heute 17,8 Prozent aller Schülerinnen und Schüler eine andere Muttersprache als Deutsch, davon 40,4 Prozent allein in Wien. Eine jüngste Studie gab an, dass jeder zweite Schüler in Wien Deutsch nicht als Muttersprache hat. In Wien gibt es im Durchschnitt 55 Prozent Volksschulkinder mit Migrationshintergrund. Bis zu 100 Prozent der Schüler, die eine Haupt- bzw. Neue Mittelschule besuchen, sprechen als Erstsprache nicht Deutsch. Bei solchen Darstellungen übersieht man leicht, dass diese Kinder ja eine andere Sprache sprechen, die durchaus von Nutzen sein könnte. Bei Englisch beispielsweise wird es positiv als Vorteil angesehen.
Was sind die Lösungen?
Die neue Bildungsreform setzt Schritte in die richtige Richtung. Mehr finanzielle Unterstützung von Brennpunktschulen, die einen höheren Ausländeranteil haben. Mehr Assistenzlehrer, die Kinder mit noch mangelnden Deutschkenntnissen unterstützen. Auch mehr Lehrer mit Migrationshintergrund, die die Kulturen der Kinder kennen und deren Sprachen sprechen. Mit guter Unterstützung holen Kinder erfahrungsgemäß innerhalb eines Jahres die Defizite auf. Die Autorität der LehrerInnen sollte mehr unterstützt werden, um ein starkes und selbstbewusstes Auftreten an den Tag zu legen – vor allem gegenüber Vätern, die ihre Autorität in Frage stellen. LehrerInnen sollten klare Regeln vermitteln.
BILDUNGaktuell-Buchtipp
Kulturelle Vielfalt richtig managen – die neuen Herausforderungen der globalisierten Arbeitswelt” (Karin Schreiner; Verlag Fischer & Gann, 2017)
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Gleichzeitig muss den Eltern mit Migrationshintergrund unser Schulsystem erklärt werden. In vielen Ländern wie auch in der Türkei ist es nicht üblich, dass Eltern in die Schule eingebunden werden. Die Schule ist dort ein eigener Bereich. In Österreich appelliert die Schule jedoch an die Mithilfe der Eltern. Um die Eltern mit Migrationshintergrund in die Schulen zu kriegen, muss man anders auf sie zugehen – da sind strukturelle Veränderungen gefragt.
Wie erreicht man einen Perspektivenwechsel?
Ein Perspektivenwechsel erhöht die Chancen, lösungsorientiert an Missständen und Missverständnissen zu arbeiten, schwierige Situationen zu meistern. Es geht um das Bemühen, die Haltung der anderen Person zu verstehen und nachzuvollziehen, damit wir besser miteinander umgehen können.
Wenn beispielsweise mein Mitarbeiter im Unternehmen immer JA sagt, aber NEIN meint, überlege ich mir, warum das so ist. Ich lerne, dass er in seinem Heimatland zu einem Vorgesetzten nie >nein< oder >ich weiß nicht sagen> darf. Damit kann ich seine Sichtweise nachvollziehen und sehe die Situation mit seinen Augen. Das ist die Basis dafür, gemeinsam eine Lösung zu finden, indem ich meine Fragen und Anweisungen so formuliere, dass er genau weiß, was er zu tun hat.
Was war Ihre Motivation, darüber ein Buch zu schreiben?
Ich wollte näher wissen, wie die Menschen ihren interkulturellen Arbeitsalltag meistern. In den Interviews erfuhr ich, dass viele Menschen sehr kreativ und lösungsorientiert damit umgehen. Mit dem Buch will ich aufzeigen, wie man schwierige Situationen gut meistern kann. Die Beispiele sollen Menschen anregen, gute Lösungen zu finden, die so genannten „blinden Flecken“ aufzudecken und über den Tellerrand zu blicken.
Was war die spannendste Erkenntnis bei der Recherche zu diesem Buch?
Die Recherche ergab, dass kulturelle Vielfalt dort positiv gesehen wird, wo die Internationalität des Unternehmens und Bildung oder Gesundheit im Vordergrund stehen. Also bei globalen Unternehmen, in internationalen und zweisprachigen Schulen (englisch-deutsch) oder im Bereich des Medizin-Tourismus. Überall dort ist kulturelle Vielfalt positiv und entsprechende Strukturen helfen, damit positiv umzugehen. Anders so bei der Belegschaft in Unternehmen oder in den Schulklassen oder auch in medizinischen und Betreuungseinrichtungen. Hier wird die kulturelle Vielfalt oftmals als Belastung fürs System gesehen. Kulturelle Vielfalt ist aber viel mehr eine Ressource, die es zu nutzen gilt. Generell geht es beim Zusammentreffen von Kulturen um das Abbauen von Vorurteilen, denn diese stehen einem guten Miteinander sowohl am Arbeitsplatz, als auch im Alltag im Weg. Dies gilt auch hinsichtlich der jüngsten Zuwanderung durch Menschen aus Krisenregionen. Es geht dabei um Verständnis sowie Auflösung von Ängsten und Pauschalisierungen.
An wen richtet sich das Buch?
Das Buch richtet sich an Menschen, die in einem internationalen und multikulturellen Umfeld arbeiten und tagtäglich mit Menschen aus verschiedensten Kulturen zu tun haben. Und natürlich auch an Interessierte, denen dieses Thema am Herzen liegt.
Über Dr. Karin Schreiner
Karin Schreiner, Dr. phil. MA, studierte Philosophie und Sozialanthropologie an der Universität Wien und Interkulturelle Kompetenzen an der Donau-Universität Krems. Sie verbrachte insgesamt 16 Jahre als Expatriate in Tschechien, Indien, Belgien, Finnland und China. Karin Schreiner lebt und arbeitet heute in Wien und ist interkulturelle Trainerin und Coach für internationale Unternehmen, Lektorin für interkulturelle Kommunikation & Management an den Universitäten Wien und Graz , den Fachhochschulen in Wien, Linz, Eisenstadt und Kufstein. Sie hat bereits mehrere Bücher veröffentlicht.
Zur Webseite der Autorin: www.iknet.at