Keine Zeit, viel Stress!

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„Wenn ich mehr Zeit hätte, wäre ich nicht so im Stress.“ Wahrheit oder nur ein guter Grund, die Verantwortung auf etwas nicht Veränderbares zu schieben? Dr. Wolfgang Jäger macht sich auf die Suche nach dem 48-Stunden-Tag.

Natürlich wäre er schön – der 48-Stunden-Tag. Aber ich würde einiges dafür verwetten, dass auch dann die verfügbare Zeit noch immer nicht ausreichend wäre, um stressfrei durchs Leben zu gehen. Wir würden uns auch diese 48 Stunden vollräumen. Die Lösung muss also woanders liegen.

Sie haben es schon erraten. Es liegt an uns selbst. Der Beweis dafür sind Menschen, die wunderbar mit der Zeit umgehen können. Sie haben ihr Leben entschlackt, ausgemistet und bereinigt. Und dann gibt es eben Menschen, die sich von der Zeit terrorisieren lassen und möglichst viel in die verfügbare Zeit hineinpacken (wollen). Es kann also nicht an den verfügbaren Stunden liegen, denn sonst würden Menschen nicht unterschiedlich darauf reagieren. Wir machen uns den Stress selbst.

Leben Sie oder werden Sie gelebt?

Stellen Sie sich einmal diese Frage und seien Sie ganz ehrlich zu sich selbst. Wenn Sie zum zweiten Teil des Satzes neigen, dann wird es Zeit, etwas zu tun. Wechseln Sie von der passiven Rolle in die aktive. Dem Leben mit den verschiedensten Rollen und deren Herausforderungen aktiv zu begegnen, das ist die Strategie. Sich nicht dem Druck der Umgebung passiv hinzugeben und so in die Opferrolle zu fallen („ich kann ja nichts dagegen tun – ich muss das ja machen“) ist das Ziel.

Vielleicht denken Sie sich jetzt: „Ja aber ich muss doch alle Arbeiten erledigen, die an mich im Arbeitsprozess herangetragen werden“, oder „Die Arbeit wird immer mehr und es geht sich einfach nicht mehr aus – man verlangt einfach immer mehr von uns.“

Alles richtig, aber Hand aufs Herz: Wie intensiv hat man dagegen etwas unternommen? Wie oft hat man nicht mehr freiwillig aufgezeigt, wenn es um zusätzliche Aufgaben gegangen ist? Wie oft hat man sich dieses eine kleine Wort sagen getraut: „nein“? Oder wie oft hat man auf Aktivitäten verzichtet, von denen wir immer geglaubt haben, dass „man“ diese tun muss? Es ist keine Frage der Zeit, sondern nur der mangelnden Prioritäten!

Auch kein neuer Satz mehr, aber wie setzt man richtig Prioritäten. Es gibt viele Möglichkeiten. Die einfachste und praktisch am leichtesten umsetzbare ist die Trennung zwischen „dringend“ und „wichtig“. Wir teilen all unsere Aufgaben (berufliche und private) in 4 Quadranten ein. Von allen unwichtigen und nicht dringenden Aufgaben machen wir uns schnellstens frei. 98% erledigen sich von selbst. Wir müssen nicht alle Mails genau lesen, wir müssen nicht den Rasen jedes Wochenende mähen, damit die Nachbarn zufrieden sind, usw. Im Quadranten sehr wichtig, aber nicht so dringend ist diszipliniertes Zeitmanagement erforderlich. Zeitlich vermerken und auch genau zu dieser Zeit erledigen ist die Prämisse. Mental können wir dies nun abhaken, bis der Kalender uns daran erinnert. Im Quadranten nicht wichtig, aber dringend suchen wir Möglichkeiten zu delegieren oder arbeiten an diesem einen ominösen Wort „Nein“. Dies muss gelernt sein und manchmal mit viel Diplomatie und Wertschätzung umgesetzt werden.

Halten wir unsere „inneren Antreiber“ im Zaum

Unsere gelernten, meist unbewussten Verhaltensmuster ziehen uns hier einen Strich durch die Rechnung. Das „Nein“ fällt uns so schwer, weil wir gelernt haben, dass wir andere nicht vor den Kopf stoßen dürfen und es auch ein Zeichen von Schwäche sein kann. Das nochmalige kontrollieren der Excellisten verhindert unsere Angst vor Fehlern, obwohl die Liste bereits überperfekt ist. Das „überall dabei sein zu müssen“ bringt uns Anerkennung und Status. Alles Muster, aus denen wir schwer hinaus kommen und die uns immer wieder in Zeitnot bringen.

Stress total: Alles ist heute dringend

Jetzt bleiben nur mehr die ganz wichtigen und ganz dringenden Aufgaben über. Bei „dringend“ stellt sich immer die Frage: für welche Person dringend? Für meinen Vorgesetzten, für meine Frau oder für mich. Oft bemerken wir, dass wir eine große „Dringlichkeit“ spüren, die nicht ganz der Realität entspricht. Eine Überprüfung zahlt sich auf jeden Fall aus.

Wichtig ist nicht gleich wichtig

Soweit ist dieses Thema bis hierher gut auf der operativen Oberfläche zu lösen. Dennoch scheitern wir meist an der Tatsache, alles für wichtig zu erachten – und schon ist sie wieder da: die Zeitnot, weil ja alles „sooo“ wichtig ist. Also betrachten wir das Thema „Wichtigkeit“ mal ein wenig tiefgehender. Wichtig für wen oder was? – ist die Frage, die Sie sich stellen sollten. Wichtigkeit in Bezug worauf? Und hier kommen die eigenen Bedürfnisse ins Spiel. Wie gesagt – die eigenen und nicht die von ihren Freunden, Familie und Vorgesetzten. Klingt jetzt sehr egoistisch aber das eine schließt ja nicht das Wohl der anderen aus. Eine differenzierte Betrachtung dieses einen Wortes zahlt sich also auf jeden Fall aus.

Betrachtungsmöglichkeiten

  • Wichtigkeit in Bezug auf die Sicherung einer Beziehung
  • Wichtigkeit in Bezug auf die Erhaltung meines Arbeitsplatzes
  • Wichtigkeit in Bezug auf die Abwehr von Gefahren
  • Wichtigkeit in Bezug auf Anerkennung
  • Wichtigkeit in Bezug auf die Erhaltung meiner Gesundheit

Zusammengefasst ist der Zusammenhang Stress und Zeit nur ein geringer. Es ist ein Mythos. Wesentlich wichtiger sind das richtige Setzen von Prioritäten, das Hinterfragen der Wichtigkeiten und das Bearbeiten meiner Verhaltensmuster. Schlussendlich der bessere Weg erfolgreich und effizient zu sein und dabei auch gesund zu bleiben.

Über den Autor

Dr. Wolfgang Jäger ist Arbeits- und Organisationspsychologe und Unternehmensberater. Er ist Leiter des manage health – Institut für psychologisches Ressourcenmanagement.